WOHNEN MIT BLUMEN
Michael Kuska, Inhaber von Blumen Kuska in der Göttinger Nordstadt, kennt sich aus mit Veränderungen, nicht nur, wenn es um das Gärtnereihandwerk geht. Unmittelbar vor seiner Haustür wachsen gerade Wohnungen aus dem Boden, und Kräne stehen Spalier.
Wenn Michael Kuska derzeit die hintere Tür seines Gewächshauses öffnet, dann schaut er direkt auf eine große Baustelle. 90 Miet- und Eigentumswohnungen werden hier im Rahmen der Entwicklung des Sartorius Quartiers gebaut, das auf den Flächen des ehemaligen Werksgeländes der Sartorius AG entsteht. Einen Teil seines Grundstücks, das sich früher einmal komplett von der Goßlerstraße bis zur Annastraße durchzog, haben er und seine Frau Sandra, mit der er seit 2007 die Gärtnerei in dritter Generation führt, dafür verkauft. »Ein so großes Stück vom eigenen Grund und Boden zu verkaufen, das war schon ein sehr emotionaler Moment für uns«, räumt er ein. Letztlich sei es aber eine vernünftige Entscheidung gewesen: »Die Gewächshäuser, die auf diesem Stück standen, waren alt. Da hätte ich viel Geld in die Hand nehmen müssen, um das zu restaurieren. Die wurden ja nicht mehr so viel genutzt, wie das früher der Fall war.« Denn das Gärtnereigeschäft hat sich massiv verändert, seitdem man Blumen und Pflanzen auch in jedem Baumarkt und sogar im Supermarkt kaufen kann.
Die Geschichte der Gärtnerei Kuska begann 1932, als Großvater Otto Kuska sein Gärtnereigeschäft gründete. Verkauft wurde direkt aus der Gärtnerei und über einen Blumenstand am Gänselieselbrunnen vor dem Alten Rathaus. 1939 kaufte Otto Kuska das Grundstück an der Goßlerstraße in der Göttinger Nordstadt, auf dem die Gärtnerei in diesem Jahr genau 80 Jahre beheimatet ist. Der Krieg zerstörte bald alles, und der Neuanfang wurde unter schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen vorangetrieben – aber er gelang. Im Büro der Gärtnerei hängt ein Luftbild von 1974, auf dem zu erkennen ist, wie sich Haus, Ladengeschäft und die Gewächshäuser damals hintereinander zwischen Goßlerstraße und Annastraße erstreckten. Da hatte Manfred Kuska, der die Gärtnerei 1969 zusammen mit Ehefrau Brunhilde vom Vater übernommen hatte, den Betrieb bereits zu einer modernen Endverkaufsgärtnerei umstrukturiert und ein zeitgemäßes Verkaufsgewächshaus mit floristischer Abteilung gebaut. In den 90er-Jahren wurde die Firma Kuska Services GmbH gegründet. Die Pflege von Hydrokulturen und Raumbegrünung ergänzt seitdem das klassische Gärtnereigeschäft.
»Vom normalen Pflanzenverkauf könnten wir heute nicht mehr leben«, sagt Michael Kuska. Das rentiere sich nicht mehr. Genauso verhält es sich mit dem traditionellen Verkaufsstand am Gänselieselbrunnen in der
Altstadt, wo Mutter Brunhilde jahrzehntelang Pflanzen und Blumensträuße verkaufte, der inzwischen aber aufgegeben wurde. »Mittlerweile ist es eher die Dienstleistung, die bei uns im Zentrum der Arbeit steht. Und Floristik ist weiterhin ein Thema. Wenn jemand einen vernünftigen Blumenstrauß haben will, dann kommt er zu uns.« Das Hauptstandbein des Unternehmens ist inzwischen jedoch die Belieferung von großen Unternehmen, Sparkassen und Instituten mit Hydrokulturen sowie deren Pflege vor Ort. In Sachen Hydrokultur war die Gärtnerei seit Anbeginn immer führend in der Region, und seine Kunden betreut Michael Kuska mit großem Engagement. »Da kommen manchmal auch schon etwas außergewöhnliche Pflanzenwünsche, und wir versuchen alles, um die zu erfüllen.« Dann scheut er nicht davor zurück, lange Fahrten mit dem Transporter nach Holland zu unternehmen, um die gewünschten Gewächse zu besorgen.Die Veränderungen durch die Aufgabe des Werksgeländes von Sartorius sieht Michael Kuska rundum positiv.Früher hätte man von diesem Nachbarn hinter Fassaden praktisch gar nichts mitbekommen. Das neue Sartorius Quartier mit den ganzen neuen Nutzungen, den Wohnungen, Büros und dem Hotel, brächte viele positive Entwicklungen mit sich, neue potenzielle Kunden natürlich eingeschlossen.
„Wenn das Sartorius Quartier fertig ist, dann wertet das die Gegend hier auf jeden Fall auf.“
»Wenn das Sartorius Quartier erst mal fertig ist, dann wertet das die Gegend hier auf jeden Fall auf, das ist wie ein Sechser im Lotto«, steht für ihn fest. Genauso fest stand von Anfang an der Erwerb einer Eigentumswohnung direkt vor der Haustür, und selbstverständlich sollte sie auf dem alten Grundstück liegen. Bis die fertig ist, liegt jedoch noch eine Strecke nicht immer leichten Zusammenlebens mit einer Großbaustelle vor den Kuskas, die das Baugeschehen um sie herum mit Interesse verfolgen, aber auch schon einiges in den letzten Monaten erlebt haben. Bei der obligatorischen Kampfmittelsondierung im vergangenen Sommer geriet ihr Hof immer stärker ins Visier und verwandelte sich zwischenzeitlich in einen Schweizer Käse. Gefunden wurde letztlich aber nur ein alter Bombensplitter. Ein anderes Mal legte ein versehentlich durchtrenntes Stromkabel für ein paar Stunden den Betrieb in der Gärtnerei völlig lahm. Doch Michael Kuska sieht es pragmatisch. Inzwischen führen Baustelle und Gärtnerei eine routinierte Co-Existenz. Man kennt und grüßt sich, und wenn es dann mal ein Problem gibt, dann findet sich auch immer eine Lösung.
2021 hat das alles dann ein Ende, Kuskas werden nicht mehr auf eine Baustelle schauen, sondern jede Menge neue Nachbarn bekommen. Und dann kehrt auch ein Stück von dem zurück, wovon sie sich zuvor getrennt haben: Wohnen mit Blumen heißt dann das Motto.